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„Ich möchte mit meinem Besuch mein Mitgefühl mit den leidenden Massen ausdrücken“, zitierte die jiddische Zeitung „Undzer Wort“ den US-amerikanischen Sonderbotschafter Edwin Pauley. Im Auftrag von US-Präsident Harry S. Truman hatte der Diplomat im Sommer 1946 das jüdische Lager im Fürther Ortsteil Finkenschlag besichtigt und kam zu dem Schluss: „Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Juden nur Palästina als ihre Heimat betrachten. Ich werde alles tun, um den gequälten Menschen dabei bestmöglich zu helfen.“
In der unmittelbaren Nachkriegszeit lebten in Franken cirka 16.000 jüdische Displaced Persons (DPs) – entwurzelte, verschleppte Menschen – in speziellen Auffanglagern. Die Mehrheit der Holocaust-Überlebenden wartete auf ihre Ausreise nach Palästina, doch der jüdische Staat existierte noch nicht, deswegen mussten die Menschen jahrelang in den „Wartesälen“ ausharren. Darunter auch bis zu 800 osteuropäische Juden, die in der von der US-Militärregierung beschlagnahmten Arbeitersiedlung „Eigenes Heim“ ein vorübergehendes Zuhause gefunden hatten. Zwischen 1946 und 1949 entstand in der Mitte von Fürth mit der Siedlung „Or Chadasch (neues Licht) eine autonome jüdische Gemeinschaft auf Zeit, in der sich die fast vollständig vernichtete jüdische Kultur Osteuropas zu einer neuen Blüte entwickeln konnte.
Jedes Jahr bestimmten die Bewohner in demokratischen Wahlen ihre politische Führung – das Komitee. Ähnlich wie eine Stadtverwaltung regelte der Vorsitzende und seine Mitarbeiter das Alltagsleben im Camp. Es wurden Volks- und Berufsschulen eingerichtet, das Kulturamt organisierte Konzerte, Theatervorführungen und eröffnete eine Bibliothek, der Sportverein Makabi Fürth spielte in der jüdischen Fußball-Liga etwa mit Kadima Schwabach, Hapoel Ansbach sowie Hakoach Hof um die Meisterschaft. Für die frommen Juden wurden eine Synagoge, ein Ritualbad, eine koschere Küche und eine Religionsschule eröffnet.
Das Camp „Or Chadasch“ wurde vom Komitee-Vorsitzenden Emil Kroo geführt. Der 1917 im tschechischen Städtchen Munkacs Geborene hatte als Zwangsarbeiter in Ungarn überlebt und konnte sich nach der Befreiung in die jüdischen Auffanglager der US-amerikanische Besatzungszone Deutschlands flüchten. Auf seine Initiative hin wurde in einer Forchheimer Textilfabrik eine Weberei für die Juden vom Finkenschlag eröffnet. Rund 60 jüdische Lehrlinge aus dem Fürther Lager erlernten dort das Weberhandwerk. Im Juli 1948 fand im Finkenschlag die feierliche öffentliche Übergabe der Abschlusszeugnisse statt. Daneben wurden im Lager verschiedene handwerkliche Lehrgänge angeboten, wie etwa für Chauffeure, Näherinnen oder Automechaniker.
Mit einer Berufsausbildung erhöhten sich für die jüdischen DPs die Chancen auf eine Einreiseerlaubnis in die klassischen Emigrationsländer. Für nicht wenige begann ein neues Leben in Australien, den USA oder in Kanada. Emil Kroo zog nach Schließung des Camps über einen Zwischenaufenthalt in New York in die kanadische Provinz Quebec, wo er bis zu seinem Tod im September 2013 lebte.
Die Mehrheit der jüdischen DPs wollte jedoch nach Israel. Schon kurz bevor der jüdische Staat proklamiert werden sollte, hatten sich viele bei der Jewish Agency für die Übersiedlung ins Gelobte Land registriert. Denn der im Aufbau befindliche Staat Israel stellte für sie die einzig wirkliche Hoffnung dar in einer Welt, die sie als Hölle erfahren hatten.
Das Camp wurde im Sommer 1949 endgültig aufgelöst und die Häuser an ihre früheren Eigentümer zurückgegeben. Doch nicht alle Bewohner konnten oder wollten Fürth verlassen. „Ein großer Teil der dort wohnenden jüdischen Menschen wurde in unsere Gemeinde übernommen“, meldete das Informationsblatt, Nachrichten für die jüdischen Bürger von Fürth im August 1949. Da einige DPs auch in Wohnungen außerhalb des Camps untergebracht waren, forderte die deutsche Israelitische Kultusgemeinde die Auswanderer auf, ihre nun freiwerdenden Wohnungen zu melden. „Wir müssen bestrebt sein“, hieß es weiter in dem Artikel, „diejenigen Familien, die nur notdürftig untergebracht sind, schnellstens in menschenwürdige Räume unterzubringen.“
Zusammen mit den überlebenden oder aus der Emigration zurückgekehrten Juden bildeten die Bewohner des Camps „Or Chadasch“ die Keimzelle der jüdischen Nachkriegsgemeinde in Fürth. – (jgt)
The Jewish DP Camp „Or Chadasch“ in Fuerth
„With my visit I would like to express my sympathy with the suffering masses,“ the Yiddish newspaper „Undzer Wort“ wrote, quoting the US special envoy Edwin Pauley. On behalf of U.S. President Harry S. Truman, the diplomat had visited the Jewish camp in the Finkenschlag district of Fürth in the summer of 1946 and concluded: „I am convinced that the majority of Jews regard only Palestine as their home. I will do everything I can to help these tormented people in this matter in the best possible way.“
In the immediate post-war period, approximately 16,000 Jewish Displaced Persons (DPs) – uprooted, displaced people – lived in special reception camps in Franconia. The majority of the Holocaust survivors were waiting to leave for Palestine, but the Jewish state did not yet exist, so the people had to hold out for years in these „waiting rooms“. Among them were up to 800 Eastern European Jews who had found a temporary home in the „Eigenes Heim“ workers‘ housing settlement confiscated by the U.S. military government. Between 1946 and 1949, a temporary autonomous Jewish community was established in the centre of Fürth in the form of the settlement „Or Chadasch (New Light), in which the almost completely destroyed Eastern European Jewish culture was able to develop and flourish.
Every year, the residents chose their political leadership – The Committee – in democratic elections. Like a city administration, the chairman and his staff regulated everyday life in the camp. Elementary and vocational schools were established, the cultural office organised concerts, theatre performances and opened a library. The sports club Makabi Fürth played in the Jewish soccer league with Kadima Schwabach, Hapoel Ansbach as well as Hakoach Hof for the championship. A synagogue, a ritual bath, a kosher kitchen and a religious school were opened for the devout Jews.
The camp „Or Chadasch“ was headed by the committee chairman Emil Kroo. Born in 1917 in the small Czech town of Munkacs, he had survived as a forced labourer in Hungary and was able to take refuge in the Jewish reception camps in the U.S. occupation zone of Germany following liberation. On his initiative, a weaving mill was opened in a textile factory in Forchheim for the Jews from Finkenschlag, in which around 60 Jewish apprentices from the Fürth camp learned the weaving trade. In July 1948, the public ceremonial presentation of the graduation certificates took place at Finkenschlag. Various additional courses were offered in the camp, such as for chauffeurs, seamstresses or car mechanics.
Vocational training increased the Jewish DPs’ chances of obtaining an entry permit to the classic emigration countries. For quite a number of them, a new life began in Australia, the USA or Canada. After the camp closed, Emil Kroo, after an interim stay in New York, moved to the Canadian province of Quebec, where he lived until his death in September 2013.
However, the majority of the Jewish DPs wanted to go to Israel. Even shortly before the Jewish state was to be proclaimed, many had already registered with the Jewish Agency to move to the Promised Land. For them, the state of Israel, which was still being built, represented the only real hope in a world they had experienced as hell.
The camp was finally dissolved in the summer of 1949 and the houses returned to their former owners. But not all of the residents were able or willing to leave Fürth. „A large part of the Jewish people living there have been integrated into our community,“ reported the information sheet, ‘Nachrichten für die jüdischen Bürger von Fürth’ (News for the Jewish Citizens of Fürth) in August 1949. Since some DPs were also housed in accommodation outside the camp, the German Jewish Community called upon the emigrants to report their now vacant apartments. „We must strive,“ the article continued, „to put those families who are only housed in makeshift accommodation into decent rooms as quickly as possible.“ – (Translation: CB)
Quellen | References
Archive | Archives
- Staatsarchiv Nürnberg
Office of Military Government for Germany (OMGUS)
Bezirk Mittelfranken - YIVO Institute for Jewish Research, New York
Displaced Persons Centers and Camps in Germany/ Leo W. Schwarz Papers / Jewish Displaced Persons Periodicals
Literatur | Literature
- Jim G. Tobias, Vorübergehende Heimat im Land der Täter: Jüdische DP-Camps in Franken 1945-1949, Nürnberg 2002
Lexikoneintrag | Lexicon entry
Fürth – Jüdisches DP-Lager | Fuerth – Jewish DP Camp
Letzte Aktualisierung: 08.07.2021