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Das Schicksal der rund 4.500 jüdischen Passagiere der Exodus, die im Juli 1947 vom südfranzösischen Hafen Sete Kurs auf Palästina nahm, machte weltweit Schlagzeilen. Kurz vor dem Ziel rammten englische Zerstörer das Schiff und zwangen den Kapitän, nach Haifa zu fahren. Im Hafen wurden die Passagiere auf drei andere Schiffe verladen, um sie nach Deutschland zurück zu transportieren. Nach einer zweimonatigen Odyssee erreichte der Konvoi Anfang September 1947 den Hamburger Hafen. Von dort aus brachten britische Soldaten die Juden mit Zügen nach Lübeck. Die Fenster der Waggons waren mit Stacheldraht versperrt. Am Bahnhof standen Armeelastwagen zum Abtransport der Menschen bereit – in die nahegelegenen Internierungslager Pöppendorf und Am Stau.
Weil diese Baracken und Notunterkünfte nicht winterfest waren, verfügten die britischen Behörden am 20. Oktober 1947 die Verlegung der Insassen in Wehrmachtskasernen nach Sengwarden bei Wilhelmshaven und Emden. Obwohl die Juden widerwillig in die Verlegung einwilligten, rückten sie jedoch nicht von ihrer Forderung auf sofortige Übersiedlung nach Palästina ab. „Wir sind eure Gefangenen – und ihr seid unsere Schinder und Gefängniswärter“, erklärten sie.
„Pöppendorf ist jetzt komplett geräumt. Weitere rund 950 Juden befinden sich noch im Camp Am Stau“, gab ein britischer Offizier am 5. November 1947 zu Protokoll. Einen Tag später vermerkte die Militärverwaltung, dass am Vorabend „550 Juden vom Lager Am Stau nach Sengwarden gebracht wurden“. Die restlichen Juden sollten schnellstmöglich folgen. Alle DPs aus Pöppendorf waren bereits in Emden angekommen. Die Militärbaracken befanden sich zu dieser Zeit jedoch in keinem guten Zustand: Die sanitären Einrichtungen und die Fenster waren teilweise zerstört, die Heizung konnte mangels Brennmaterial nicht in Betrieb genommen werden und die Unterkünfte waren stark verschmutzt. Erst Mitte November waren alle sieben Kasernengebäude so weit hergerichtet, dass sie von den weit über 2.000 Bewohnern, darunter 140 Kranke, 35 Schwangere und stillende Mütter, genutzt werden konnten.
Rund zehn Monate, bis zum Sommer 1948, wehte die blau-weiße Fahne mit dem Davidstern über der ehemaligen Marinekaserne. Am 17. August 1948 berichtete die örtliche „Nordwestdeutsche Rundschau“ über die „beinahe gänzliche“ Auflösung: „Viele Frauen und die Kranken wurden in das Lager nach Bergen-Belsen gebracht, während der größte Teil der Flüchtlinge in Lager überführt wurde, aus denen eine bessere Möglichkeit der Übersiedlung nach Palästina besteht.“
Auch über den Umzug des Exodus-Lagers Am Stau in den Kasernenkomplex in Sengwarden hatte die „Nordwestdeutsche Rundschau“ am 8. November 1947 berichtet. „Insgesamt sind jetzt 1.800 Personen nach hier umquartiert.“ In der ehemaligen Wehrmachts-Befehlsstelle Nord und heutigen „Admiral-Armin-Zimmermann-Kaserne“ waren zuvor polnische Soldaten, kanadische Truppen und später DPs unterschiedlichster Nationalitäten untergebracht. Im Gegensatz zu den Unterkünften in Emden waren die Gebäude in Sengwarden trotz erforderlicher Reparaturen im Bereich der Sanitäranlagen, Heizung und Elektrik in einem allgemein guten Zustand. Wenngleich das Lager nur temporären Charakter hatte, eröffnete die jüdische Selbstverwaltung umgehend ein Studien- und Lehrhaus mit Schule und religiösem Zentrum. Ende November/Anfang Dezember 1947 überbrachte Rabbi Yecheskiel Kelman aus dem DP-Lager Belsen der Exodus-Gemeinschaft in Sengwarden eine Thora-Rolle, so dass sich die Gläubigen am Schabbat zum Gottesdienst versammeln konnten. Im Sommer 1948, einige Wochen vor Auflösung des Lagers, wurde eine weitere Thora-Rolle angeliefert. Diese war von Glaubensbrüdern aus New York gestiftet worden. An der feierlichen Übergabe nahm fast die gesamte Lagerbevölkerung teil sowie Vertreter verschiedener religiöser und politischer Organisationen aus Erez Israel.
Wie in Emden ist die Existenz der jüdischen DP-Gemeinde in Sengwarden nach nur zehn Monaten vorbei. „Exodus-Juden rücken ab. Motorisierter Umzug mit unbekanntem Ziel“, titelte die „Nordwestdeutsche Rundschau“ am 17. August 1948. „Die Juden haben das Lager in aller Stille über Nacht geräumt“, schrieb der verdutzte Mitarbeiter der Friesland-Redaktion. „Bis zum Wochenende war über das Ziel der ausgezogenen Juden nichts in Erfahrung zu bringen als zahlreiche Gerüchte und Vermutungen.“ Offensichtlich herrschte in der Zeitung ein massives Kommunikationschaos. Gleich neben dem erwähnten Artikel war nämlich folgende Agenturmeldung abgedruckt: „Auf dem Bahnhof von Marseille trafen am Sonntagvormittag 500 Exodus-Juden ein, die vor einigen Tagen aus ihrem Lager in der britischen Zone verschwunden waren.“
Schon im Sommer hatte Lagerleiter Chajm Gruenstein erklärt: „Unser Wille, nach Palästina zu gehen, ist unerschüttert. Tausend Jahre träumt das jüdische Volk davon, jetzt muss es Wirklichkeit werden. Wir sind bereit, wenn notwendig, für unser Land zu sterben.“
Nachdem David Ben Gurion am 14. Mai 1948 den Staat Israel proklamiert hatte, gab es nicht nur für die Juden in Sengwarden oder Emden kein Halten mehr. Sie hatten nur ein Ziel: Die sofortige Immigration in den jüdischen Staat. In den europäischen Hafenstädten des Mittelmeers warteten Tausende Überlebende der Shoa sehnsüchtig auf eine Überfahrt. Unter den zukünftigen Bürgern Israels befanden sich auch viele Männer und Frauen, die den neuen Staat mit der Waffe in der Hand verteidigen wollten. Schon seit 1946 hatte sich die Hagana (jüdische Miliz) in Deutschland auf kriegerische Auseinandersetzungen in Palästina vorbereitet und ein geheimes Programm zur Rekrutierung von Offizieren und Soldaten in den DP-Camps entwickelt. Über 500 wehrfähige junge Männer und Frauen absolvierten illegale Offiziersschulen, über 20.000 durchliefen eine militärische Grundausbildung.
Zeev Weinbeer bekam im Februar 1948 von der Hagana den Befehl, im Lager Emden Soldaten zu rekrutieren. Der ehemalige polnische Offizier drillte zwischen 200 und 250 junge Juden, darunter auch einige Frauen, und trainierte sie im Umgang mit Gewehren, Pistolen und Handgranaten. Sein Kollege Ben Ami Tamir, ein Hagana-Veteran aus Palästina, half ihm zunächst dabei. Später leitete er die Militärausbildung in Sengwarden: „Im März stellten wir eine Liste der Freiwilligen auf, die nach Israel wollten“, gab Tamir zu Protokoll, „denn als Rekruten hatten sie ja ein Vorrecht auf Alija“ (Einwanderung nach Israel). Er blieb etwa zwei Monate in Sengwarden und trainierte danach junge Rekruten im DP-Camp Belsen. – (jgt)
The Exodus Camps Sengwarden and Emden 1947–1948
The fate of the around 4,500 Jewish passengers of the Exodus, which set course for Palestine from the southern French port of Sete in July 1947, made headlines around the world. Shortly before reaching its destination, the ship was rammed by English destroyers, which forced the captain to sail to Haifa. In the port, the passengers were loaded onto three other ships to be transported back to Germany. In early September 1947, after a two-month odyssey, the convoy finally reached the port of Hamburg. From there, the Jews were transported by train to Lübeck by British soldiers. The windows of the wagons were secured by barbed wire. At the station, army trucks were ready to take the people away – to the nearby internment camps Pöppendorf and Am Stau.
Because these barracks and emergency shelters were not winter-proof, on October 20, 1947, the British authorities ordered the transfer of the inmates to Wehrmacht (German army) barracks in Sengwarden near Wilhelmshaven and Emden. Although the Jews reluctantly agreed to the transfer, they did not back down from their demand for immediate transfer to Palestine. „We are your prisoners – and you are our oppressors and jailers,“ they declared.
„Pöppendorf is now completely evacuated. Another 950 or so Jews are still in Camp Am Stau,“ a British officer recorded on November 5, 1947. One day later, the military administration noted that on the previous evening „550 Jews were brought from the Am Stau camp to Sengwarden.“ The remaining Jews were to follow as soon as possible. All DPs from Pöppendorf had already arrived in Emden. However, the military barracks were in a bad state at this time: the sanitary facilities and the windows were partially destroyed, the heating could not be used due to a lack of fuel, and the quarters were extremely dirty. It was not until mid-November that all seven barracks buildings had been renovated enough so they could be used by the well over 2,000 residents, including 140 sick people, 35 pregnant women and nursing mothers.
For about ten months, until the summer of 1948, the blue and white flag with the Star of David flew over the former marine barracks. On August 17, 1948, the local newspaper „Nordwestdeutsche Rundschau“ reported on the „almost complete“ dissolution: „Many women and the sick were taken to the camp in Bergen-Belsen, while most of the refugees were moved to camps from which there is a better possibility of immigration to Palestine.“
The „Nordwestdeutsche Rundschau“ newspaper had also reported on the move of the Exodus camp Am Stau to the barracks complex in Sengwarden on November 8, 1947. „A total of 1,800 persons have now been relocated to here.“ The former Wehrmacht Command Post North and today’s „Admiral Armin Zimmermann Barracks“ had previously housed Polish soldiers, Canadian troops and later DPs of various nationalities. In contrast to the quarters in Emden, the buildings in Sengwarden were in generally good condition, despite the need for repairs to the plumbing, heating and electrical systems. Although the camp was only temporary in nature, the Jewish self-government immediately opened a study and teaching house with a school and religious centre. In late November/early December 1947, Rabbi Yecheskiel Kelman from the Belsen DP camp delivered a Torah scroll to the Exodus community in Sengwarden so that the faithful could gather for Shabbat services. In the summer of 1948, a few weeks before the camp was dissolved, another Torah scroll was delivered, donated by fellow believers from New York. Almost the entire camp population took part in the ceremonial handover, as well as representatives of various religious and political organisations from Eretz Israel.
As in Emden, the existence of the Jewish DP community in Sengwarden was over after only ten months. „Exodus Jews depart. Motorised move with unknown destination,“ read the „Nordwestdeutsche Rundschau“ newspaper headline on August 17, 1948. „The Jews have quietly vacated the camp overnight,“ wrote the surprised Friesland editorial staff. „Until the weekend, nothing could be learned about the destination of the Jews who had moved out except for numerous rumours and speculation.“ There was obviously great communication confusion within the newspaper; right next to the above mentioned article, in fact, the following agency report was printed: „At Marseille railway station, 500 Exodus Jews arrived on Sunday morning, who had disappeared from their camp in the British zone a few days previously.“ Earlier in the summer, camp director Chajm Gruenstein had declared: „Our will to go to Palestine is unshaken. For a thousand years the Jewish people have dreamed of it, now it must become reality. If necessary we are ready to die for our country.“
After David Ben Gurion proclaimed the State of Israel on May 14, 1948, there was no stopping not only the Jews in Sengwarden or Emden. They had only one goal: immediate immigration to the Jewish state. In the European ports of the Mediterranean, thousands of survivors of the Shoah were eagerly waiting for a passage. Among the future citizens of Israel were also many men and women ready to defend their new state with weapons in their hands. Since 1946, the Haganah (Jewish militia) in Germany had already been preparing for armed conflict in Palestine and had developed a secret programme to recruit officers and soldiers in the DP camps. More than 500 young men and women fit for military service completed courses in illegal officer training schools, and over 20,000 underwent basic military training.
In February 1948, Zeev Weinbeer received orders from the Haganah to recruit soldiers in the Emden camp. The former Polish officer drilled between 200 and 250 young Jews, including several women, and trained them in the use of rifles, pistols and hand grenades. He was helped initially by his colleague Ben Ami Tamir, a Haganah veteran from Palestine. Later he led the military training in Sengwarden: „In March, we drew up a list of volunteers who wanted to go to Israel,“ Tamir stated, „because as recruits they had a special right of aliyah“ (immigration to Israel). He stayed in Sengwarden for about two months and after that trained young recruits at the Belsen DP camp. – (Translation: CB)
Quellen | References
Archive | Archives
- American Jewish Joint Distribution Committee Archives, New York
AR 45/54 Germany - YIVO Institute for Jewish Research, New York
Leo W. Schwarz Papers
Literatur | Literature
- Aviva Halamish, The Exodus Affair. Holocaust Survivors and the Struggle for Palestine, London 1998
- Nordwestdeutsche Rundschau, August 1947/November 1948
- Jim G. Tobias, Sie sind Bürger Israels. Die geheime Rekrutierung jüdischer Soldaten außerhalb von Palästina/Israel 1946 bis 1948, Nürnberg 2007
- Jim G. Tobias, Emden, Sengwarden, Jever. Die letzten jüdischen Displaced Persons Camps in der britischen Besatzungszone, in: Rebecca Boehling u. a. (Hg.), Freilegung. Displaced Persons, Jahrbuch des International Tracing Service, Bd. 3, Göttingen 2014
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