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Etwa zwei Kilometer vom KZ Bergen-Belsen entfernt, befand sich der Mitte der 1930er Jahre aufgebaute Truppenübungsplatz Bergen-Hohne. Es war der größte Übungsplatz im Deutschen Reich mit fast 100 zweigeschossigen Kasernenbauten. In einem Teil davon waren in der letzten Woche vor der Befreiung noch mehr als 15.000 Häftlinge des KZ Bergen-Belsen untergebracht worden. Nach der Befreiung nutzte die britische Armee einen Großteil der Gebäude des Truppenübungsplatzes als Nothospital und als Zentrum für die Repatriierung der befreiten Häftlinge.
Nach dem vorläufigen Abschluss der Repatriierungen im Herbst 1945 trat die Funktion dieses Lagerkomplexes als DP-Camp in den Vordergrund. Die jüdischen Überlebenden benannten es „DP-Camp Bergen-Belsen“, um deutlich zu machen, dass sie gezwungen waren, wegen fehlender Emigrationsmöglichkeiten weiterhin auf deutschem Boden in unmittelbarer Nähe des ehemaligen KZ Bergen-Belsen zu leben.
Vor allem polnische und ungarische Juden waren in diesem Camp verblieben. Auf Anordnung der britischen Militärregierung lebten sie hier mit zahlreichen nichtjüdischen Polen zusammen. Die fortdauernden Konflikte zwischen diesen beiden Gruppen veranlassten die britische Militärregierung Mitte 1946, die nichtjüdischen polnischen DPs in andere Camps der britischen Zone zu verlegen.
Seit 1946 war Bergen-Belsen mit bis zu 12.000 jüdischen Bewohnern das mit Abstand größte jüdische DP-Camp im Nachkriegsdeutschland. Anders als in der amerikanischen Zone wurde den seit Frühjahr 1946 aus Polen in die DP-Camps in den westlichen Besatzungszonen zuwandernden Juden, die den Holocaust in der Sowjetunion überlebt hatten, von der britischen Militärregierung der DP-Status zunächst verweigert.
Schon wenige Tage nach der Befreiung entstand ein jüdisches Komitee, aus dem im September 1945 das gewählte „Zentralkomitee der befreiten Juden in der britischen Zone“ unter dem Vorsitz von Josef Rosensaft hervorging. Es war zugleich auch Interessenvertreter der kleineren jüdischen DP-Camps sowie der wieder gegründeten jüdischen Gemeinden in verschiedenen Städten der britischen Zone gegenüber der deutschen Verwaltung und der britischen Militärregierung. Im Durchschnitt lebte mehr als die Hälfte der Juden in der britischen Zone im DP-Camp Bergen-Belsen.
Die jüdischen DPs vollzogen durch den Aufbau quasi – staatlicher Institutionen wie dem Zentralkomitee als „Regierung“ des DP-Camps, eine eigene Polizei und eines Lagergerichts sowie Schulen, politischen Parteien etc. – den Prozess der jüdischen Staatswerdung in ihrem eigenen Lebensumfeld. Dazu zählte auch die Tatsache, dass sich ab Mitte 1947 etwa die Hälfte der jüdischen DPs in Bergen-Belsen als Kibbuzim organisierten.
Etwa 15 bis 20 Prozent der jüdischen DPs in Bergen-Belsen zählten zu der Gruppe der Ultra-Orthodoxen, die sich insbesondere wegen ihrer Ablehnung des Zionismus vom jüdischen Zentralkomitee trennten und eigene religiöse und soziale Institutionen aufbauten.
Die Politisierung der jüdischen DPs im Sinne des Zionismus war in Bergen-Belsen noch ausgeprägter als in den jüdischen DP-Camps der amerikanischen Zone, da sie hier unmittelbar mit den Briten als einflussreichstem Gegner der jüdischen Staatsgründung in Palästina konfrontiert waren.
Wie in den anderen jüdischen DP-Camps spielten auch in Bergen-Belsen die kollektive Auseinandersetzung mit der Traumatisierung durch die NS-Verfolgung und die Entwicklung einer Erinnerungskultur eine wichtige Rolle. Wichtige Medien dafür waren u. a. die ab Juli 1945 in jiddischer Sprache erscheinende Lagerzeitung mit dem programmatischen Titel Undzer Sztyme oder das im Sommer 1945 gegründete „KZ-Theater“, das neben unterhaltenden Stücken auch Szenen und Stücke aufführte, die in den Ghettos sowie den Konzentrations- und Vernichtungslagern spielten.
Durch die räumliche Nähe zum ehemaligen KZ Bergen-Belsen konnten die jüdischen DPs auch auf die Gestaltung der hier entstehenden Gedenkstätte Einfluss nehmen. Am 15. April 1946, dem ersten Jahrestag der Befreiung, weihten sie hier ein jüdisches Mahnmal ein – das erste jüdische Denkmal auf dem Gelände eines ehemaligen NS-Konzentrationslagers.
Neben dem schulischen Unterricht für die Kinder spielten auch die Erwachsenenbildung bzw. die berufliche Aus- und Weiterbildung im Blick auf die geplante Emigration eine wichtige Rolle. Für den Aufbau und Betrieb dieser Bildungseinrichtungen wie auch für andere soziale Belange im jüdischen DP-Camp war die Unterstützung durch jüdische Hilfsorganisationen wie den JOINT oder ORT unerlässlich.
Erst mit der Gründung des Staates Israel im Mai 1948 gab es für die meisten jüdischen DPs die Möglichkeit einer legalisierten Emigration aus Deutschland. Etwa 70 Prozent der Juden aus Bergen-Belsen wanderten im Rahmen dieser legalen Emigration nach Palästina bzw. Israel aus. Letzte Einschränkungen der Auswanderung aus der britischen Zone nach Israel hob die britische Militärregierung im Januar 1949 auf.
Mitte 1950 wurde das DP-Camp Bergen-Belsen aufgelöst, nachdem die letzten rund 1.000 Bewohner in das DP-Camp Upjever (Landkreis Friesland) verlegt worden waren. Dieses Camp wurde im August 1951 geschlossen. – (Thomas Rahe)
The Jewish DP Camp Bergen-Belsen
About two kilometres from Bergen-Belsen concentration camp was the Bergen-Hohne military training area, built in the mid-1930s. It was the largest training area in the German Reich with almost 100 two-storey barracks. In the last week before liberation, more than 15,000 prisoners of the Bergen-Belsen concentration camp had been housed in one part of it. Following liberation, the British army used a large number of the military training area buildings as an emergency hospital and a centre for the repatriation of the liberated prisoners.
After repatriation was preliminarily completed in the autumn of 1945, the function of this camp complex as a DP camp came to the fore. The Jewish survivors called it the „Bergen-Belsen DP Camp“ to make it clear that they were forced to continue living on German soil in the immediate vicinity of the former Bergen-Belsen concentration camp due to a lack of emigration opportunities.
Mostly Polish and Hungarian Jews remained in the camp, where, by order of the British military government, they lived together with a large number of non-Jewish Poles. The continuing conflicts between these two groups prompted the British military government in mid-1946 to transfer the non-Jewish Polish DPs to other camps in the British zone.
From 1946 onwards, Bergen-Belsen was, with up to 12,000 Jewish inhabitants, by far the largest Jewish DP camp in post war Germany. Unlike in the American zone, the British military government initially refused DP status to the Jews who had survived the Holocaust in the Soviet Union, and who had been migrating from Poland to the DP camps in the western occupation zones since spring 1946.
Just a few days after liberation a Jewish committee was formed, from which the elected „Central Committee of Liberated Jews in the British Zone” emerged in September 1945, chaired by Josef Rosensaft. It also represented the interests of the smaller Jewish DP camps and the re-established Jewish communities in various cities in the British zone towards the German administration and the British military government. On average, more than half of the Jews in the British zone lived in the Bergen-Belsen DP camp.
The Jewish DPs completed the process of becoming a Jewish state within their own living environment by establishing quasi-governmental institutions such as the Central Committee as the „government“ of the DP camp, their own police force and a camp court, as well as schools, political parties, etc. Added to this was the fact that from mid-1947 onwards, about half of the Jewish DPs in Bergen-Belsen organised themselves as kibbutzim.
About 15 to 20 percent of the Jewish DPs in Bergen-Belsen belonged to the ultra-orthodox group, who split from the Jewish Central Committee and built up their own religious and social institutions, particularly because of their rejection of Zionism.
The politicisation of the Jewish DPs in accordance with Zionism was even more prominent in Bergen-Belsen than in the Jewish DP camps in the American zone. This was because they were directly confronted there with the British as the most influential opponents of the founding of the Jewish state in Palestine.
As in the other Jewish DP camps, in Bergen-Belsen collective confrontation with the traumatisation caused by Nazi persecution and the development of a culture of remembrance played a major role. Important media for this were, among others, the camp newspaper, which appeared in Yiddish from July 1945 with the programmatic title „Undzer Sztyme“ or the “KZ Theater“ (Concentration Camp Theatre), founded in the summer of 1945. In addition to plays for entertainment, the theatre also performed scenes and plays that took place in the ghettos and the concentration and extermination camps.
The close proximity to the former Bergen-Belsen concentration camp also enabled the Jewish DPs to influence the design of the memorial site that was being created there. On April 15, 1946, the first anniversary of the liberation, they inaugurated a Jewish memorial there – the first one on the site of a former Nazi concentration camp.
In addition to schooling for the children, adult education and vocational training also played an important role in view of the planned emigration. The support of Jewish aid organisations such as JOINT or ORT was essential for the construction and operation of these educational institutions as well as for other social matters in the Jewish DP camp.
It was not until the State of Israel was founded in May 1948 that most Jewish DPs had the possibility of legalised emigration from Germany. About 70 per cent of the Jews from Bergen-Belsen then emigrated to Palestine or Israel. The British military government lifted the final restrictions on emigration from the British zone to Israel in January 1949.
The Bergen-Belsen DP camp was dissolved in mid-1950, when the last 1,000 or so inhabitants had been transferred to a DP camp in Upjever (a district of Friesland). This camp was closed in August 1951. – (Translation: CB)
Quellen | References
Archive | Archives
- YIVO Institute for Jewish Research, New York
Leo W. Schwarz Papers / Displaced Persons Centers and Camps in Germany - Yad Vashem, Jerusalem
RA 0-70 (Josef Rosensaft Archive)
Literatur | Literature
- Sophie Fetthauer, Musik und Theater im DP-Camp Bergen-Belsen. Zum Kulturleben der jüdischen Displaced Persons 1945–1950, Neumünster 2012
- Angelika Königseder/Juliane Wetzel, Lebensmut im Wartesaal. Die jüdischen DPs (Displaced Persons) im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt/M. 1994
- Hagit Lavsky, New Beginnings. Holocaust Survivors in Bergen-Belsen and the British Zone in Germany, 1945–1950, Detroit 2002
- Thomas Rahe, Polnische und jüdische Displaced Persons im DP-Camp Bergen-Belsen, in: Rebecca Boehling/Susanne Urban/René Bienert (Hg.), Freilegungen. Displaced Persons. Leben im Transit: Überlebende zwischen Repatriierung, Rehabilitation und Neuanfang, Göttingen 2014, S. 61–72
- Nicola Schlichting, „Öffnet die Tore von Erez Israel“. Das jüdische DP-Camp Belsen 1945–1948, Nürnberg 2005
Lexikoneintrag | Lexicon entry
Belsen – Jüdisches DP-Lager (Hohne) | Jewish DP Camp (Hohne)